Zahnformen

Der isoliert zu betrachtende Zahn

Betrach​tet man extrahierte Frontzähne so fällt auf, dass die gängigen Beurteilungskriterien Winkel- und Krümmungsmerkmal zwar wichtig sind, den Zahn in seiner anatomischen Form jedoch nur unzureichend beschreiben. Eine Reihe anderer typischer Merkmale beeinflussen die Anatomie von Frontzähnen mindestens ebenso auffällig. Die im Folgenden beschriebenen weiteren Faktoren, sind zwar fast immer vorhanden, können aber unterschiedlich stark ausgeprägt sein.

Einer der häufigsten Fehler in der Frontzahngestaltung ist die Gestaltung der optischen Zahnbreite. Es kommt darauf an, das richtige Größenverhältnis von Labialfläche zu Lingualfläche herauszuarbeiten. Bestimmt wird die optische Breite des Frontzahnes von den vertikal verlaufenden mesialen und distalen Leisten sowohl der labialen, als auch lingualen Fläche (Bild 5 und 6). Ein wichtiges Frontzahnmerkmal ist, dass die labiale Flächer optisch immer schmaler ist als die Oralflächen. Die meisten der früheren Prothesenzähne sind zum Beispiel mit dem Fehler behaftet, dass die linguale Fläche schmaler gestaltet ist als die Labialfläche (Bild 7). Will man diesen Fehler vermeiden, hilft der Blick von inzisal auf die Restaurationen. Die Räumlichkeit der Frontzähnen ist dann voll erfassbar, wenn man sie von inzisal betrachtet, oder schräg von palatinal beziehungsweise lingual darauf schaut. Sind die mesialen und distalen Leisten mit einem Bleistift angezeichnet, so bemerkt man aus diesem Blickwinkel die unterschiedliche Breite der labialen und palatinalen Flächen. Bei natürlichen Zähnen ist der Abstand zwischen den labialen Leisten schmaler als den oralen. Erst wenn man diese Tatsache berücksichtigt, ist es möglich, natürliche Interdentalräume zu schaffen (Bild 8). Aus meiner Sicht ist das eine elementare Voraussetzung für plastisch wirkende Kronen oder Brücken. Gerade bei Brücken ist die Gestaltung der approximalen Kontaktpunkte und Flächen der Schlüssel zum Erfolg.


Bild 5 – Bild 8

Vor der eingehenden Betrachtung der Interproximalflächen sei noch auf zwei weitere Merkmale hingewiesen. Beim Anlegen von jeweils einer Tangente im zervikalen Drittel und einer weiteren an der Schneidekante der Labialfläche, verlaufen diese nicht parallel zueinander, sondern sich distal einander an und laufen mesial immer weiter auseinander. Ursache dieser Erscheinung ist die Verwindung (Twist oder Torsion) der Labialfläche entlang der vertikalen Zahnachse. Diese Torsion setzt sich aus der Zahnwurzel heraus bis in die Zahnkrone hinein fort (Bild 9 bis 10). Berücksichtigt man zudem die labiale Wölbung des Schneidezahnes in sagitaler Richtung, wird die komplexe dreidimensionale Form der Frontzähne deutlich. Auch hier hilft der Blick von inzisal wiederum, das Phänomen zur erkennen. Erkennbar wird dies auch am isolierten Zahn aus der jeweils gegenüberliegenden approximalen Richtung.

Bild 9 – Bild 12

Mit Blick von distal auf die distolabiale Leiste ist die Kontur im zervikalen Bereich eher flach, wobei der Scheitelpunkt der schwachen Wölbung im inzisalen Drittel liegt. Von mesial auf die mesiale Leiste gesehen, fällt auf, dass die stärkste Wölbung der Kontur im zervikalen Drittel mir einem Scheitelpunkt unterhalb der Zahnmitte liegt (Bild 11).

Die beiden seitlichen Schneidezähne sind häufig die letzten Frontzähne, die trotz fortgeschrittener Abrasion an mittleren Schneidezähnen und Eckzähnen, noch unberührte Schneidekanten haben. Gerade hier fällt ein sehr ausgeprägtes Winkelmerkmal auf, das bei der Kronenherstellung problematisch sein kann. Bei jugendlichen, noch nicht abradierten Frontzähnen gehen von palatinal betrachtet die mesiolinguale und distolinguale Leiste als leichte Grube in die Schneidekante über (Bild 12, 13, 15). Mit zunehmender Abnutzung der Schneiden verliert sich dieses Merkmal. Die anatomisch richtige Gestaltung des Winkelmerkmals hängt in erheblichen Masse von diesen Gruben am Übergang Schneidekante zu palatinalen Randleisten ab.

Bild 13 – Bild 16

Der Versuch, durch Beschleifen von labial und approximal diese distale Schneidekante eines oberen Zweiers nachzubilden, endet häufig in einem überzogenen Winkelmerkmal. Wird in diesem Fall die distale und mesiale Grube im Bereich des Übergangs von Randleiste zu Schneidekante auf der palatinalen Seite kopiert, kommt man der Natur ein deutliches Stück näher. Die Gestaltung der oralen Zahnflächen gewinnt aufgrund der entwicklungsbedingt einander gegenüberliegenden Leisten und deren Verknüpfung mit den labialen Leisten, von funktionalen Gesichtspunkten einmal abgesehen eine große ästhetische Bedeutung. Bei genauer Betrachtung von approximal, stellt sich heraus, dass sich die Zahnkrone aus der Wurzel heraus aufbaut (Bild 14). Dort, wo sich von der Wurzel ausgehend die mesiolabiale und mesiopalatinale Leiste auf der Interproximalfläche berühren, besteht unterhalb der größten Wölbung (häufig der approximale Kontaktpunkt) eine von apikal beginnende Grube (Bild 15). Besonders bei der Brückengestaltung hat das Kopieren dieser Grube für die Räumlichkeit des Zahnes positive Auswirkungen. Inzisal laufen die Leisten zusammen und gehen in die Schneidekante über. Die bisher beschriebenen Merkmale sind bei den Eckzähnen am stärksten ausgeprägt. Dabei ist die Verwindung der Labialfläche von besonderer Bedeutung. Dies stellt sich auch bezüglich der harmonischen Wirkung dieser Zähne im Zahnbogen heraus (Bild 16 – 18). Als zusätzliche Besonderheit ist beim Eckzahn die mesiale Schneidekante kürzer als die distale Kannte. Auf die Beschreibung der Facettenbildung der Labialfläche kann hier sicher verzichtet werden.

Der Zahn im Zahnbogen

Bild 17-Bild 20

Wie schon vorher erwähnt, hängt die optische Breite eines Zahnes nicht von der anatomischen Breite des Zahnes ab, sondern die optische Zahnbreite ergibt sich aus der Lage der mesialen und distalen Leisten. Reflexe, die sich auf diesen Leisten der Oberfläche bilden, dienen der Wahrnehmung als Anhaltspunkt für die Beurteilung der visuellen Breite des Zahnes. Es ist wichtig, dies auszunutzen, wenn es um ästhetische Korrekturen wie zum Beispiel das Schließen von Zahnlücken geht. Die anatomische Ausformung der Leisten ist aber auch für die perspektivische Wirkung des Zahnes im Zahnbogen von Bedeutung. So steht gerade bei den seitlichen Schneidezähnen und den Eckzähnen aufgrund ihrer leicht gedrehten Lage im Zahnbogen die mesiolabiale Leiste im Vordergrund. Die distolabiale Leiste begrenzt aus dieser Blickrichtung die Zahnkontur nach distal, wodurch sich oft die Kontur des isolierten Zahnes von seiner optisch wahrgenommenen Form im Zahnbogen unterscheidet. Abhängig von der Richtung aus der man sie in ihrem Umfeld betrachtet, wirken ovale Zähne unter Umständen  mehr oder weniger dreieckig (Bild 19 und 20). 

Bild 21-Bild 24

Unsere besondere Aufmerksamkeit sollte den Eckzähnen gelten. Bedingt durch den starken Twist der Labialfläche und die im Zahnbogen nach distal gedrehte Stellung dieser Zähne, wird der Blick auf die mesiale Facette der Eckzähne gelenkt. Bei Fehlen der Torsion, machen Eckzahnkronen einen bauchigen, klobigen Eindruck. Der Versuch, die mittlere Leiste der labialen Fläche im Bereich des Zahnhalses dann flacher zu gestalten, führt aber zu keinem befriedigenden Ergebnis. Was diesen Kronen fehlt, ist der beim Eckzahn besonders ausgeprägte Twist. Die distale Facette der Kronen muss im zervikalen Bereich flach, bisweilen sogar konkav gestaltet werden. Die mesiale Kante der mesiolabialen Facette ist häufig an der Schneidekante stark nach oral eingezogen und kürzer als die distale Kante. (Bild 19 und 20) 

Den approximalen Kontakten kommt ästhetisch eine große Bedeutung zu. Ihre Lage steht nicht nur im Zusammenhang mit der anatomischen Zahnform, sondern hängt stark von der Stellung der Zähne zueinander ab. So werden Zähne, deren Labialflächen einander zugeneigt sind (Schmetterlingsstellung) ihren labialen Kontakt weiter labial haben, als Zähne, deren Palatinalflächen einander zugewendet sind. Bei überlappenden Zahnstellungen findet der Kontakt beim überlappten Zahn auf der labialen Fläche und beim überlappenden Zahn auf der palatinalen Fläche statt (Bild 21). Wird hierbei die Kenntnis der labialen und palatinalen Leisten und ihrer Position nicht berücksichtigt, verkommt das interdentale Kontaktarial zur unnatürlich wirkenden Plackretention. Harmonischer Zahnersatz lebt von der korrekten Gestaltung der Kontaktzonen und Interdentalräume und der sich daraus ergebenden natürlichen Räumlichkeit (Bild 22 zeigt fehlende Räumlichkeit bei mangelhafter Interdentalraumgestaltung). Ein weiterer Punkt, der größte Aufmerksamkeit fordert, ist die funktionsbedingte Veränderung der Schneidekanten, die unter anderem abhängig ist von der Stellung und Lage der Zähne im Raum und ihrer Beziehung zueinander. Kein Zahn, der nicht funktionsgerecht geformt wurde, fügt sich harmonisch ins Gesamtbild eines Gebisses. Kreationen aus rein ästhetischen Überlegungen, ohne funktionellen Zusammenhang zum Restzahnbestand und zum Patienten sind dissonant (Bild 23). Berücksichtigt man die dynamischen Vorgänge der Unterkieferbewegungen, so ist eine saubere Funktion einzuschleifen, was zu leicht abrasiven Erscheinungen an den Schneidekanten führt. So weisen Oberkieferfrontzähne mit einwärts gekippter (inclinierter) Schneide eine größerer Abrasion auf als prominent stehende Frontzähne (Bild 24). Im Unterkiefer ist das Verhältnis Abrasion zu Zahnstellung umgekehrt, zurückstehende Zähne sind meist länger als vorstehende.